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Peter Augustin
Herrn Prof. Manfred Peschel gewidmet, dem Kybernetiker mit Herz und Humor.
Die höchste Aufgabe einer Wissenschaft besteht in der Mathematisierung. Das kann aber nicht mit Algebra allein geschehen, wie das fast alle mit dem Rechner tun und das dann Informatik nennen. Der Rechner braucht Platz für die Null. Der Rechenschieber hat nur eine Null als Unterschied zweier Skalen. Der ist klüger. Kybernetik ist viel umfassender. Sie muß die ganze Philosophie oder Welt zu mathematisieren versuchen. Darum ist für mich die Modellierung der Grundaspekt der Kybernetik. Wir sagten Simulation dazu, um auch die dynamische Seite nicht zu vernachlässigen. Aber damals waren wir noch nicht klug genug und ich mache jetzt alles anders. Ich begnüge ich mich mit einem kurzen Vortrag. Weit ausholen und aufteilen mögen die Philosophen. Mathematisierung heißt: Fasse Dich kurz.
Die Ertragsmodellierung in Großbeeren begann ernst zu werden, als wir den Prozeßrechner Nummer ACHT aus DDR-Produktion erhielten. Wir waren die ersten in der Welt, die mit einem Prozeßrechner ein Gewächshaus steuerten. Kybernetik hat im Gegensatz zur eng verwandten Philosophie einen praktischen Aspekt. Man kann einen Rechner nützlich machen. Um ihn für die Steuerung der Ertragsbildungsprozesse ein zu setzen, muß ein dynamisches Modell der Ertragsbildung und des Gewächshausklimas vorliegen.
Die Klimasteuerung bearbeiteten die Physiker und Techniker, während die Ertragsbildungsmodellierung mir übertragen wurde. Ich habe mich in diesem Moment sofort an die Herren Wiener und Klaus erinnert. Ich gestand den Pflanzen Geist und Intelligenz zu und habe deshalb bei der Modellierung Erfolg gehabt. Kybernetik verlangt den geistigen Aspekt, der in der Physik und orthodoxen Biologie fehlt. Vielleicht sollte man die Kybernetik als mathematisierte Philosophie bezeichnen. Mathematik darf dabei nicht mit Algebra gleich gesetzt werden. Die Geometrie gestattet es wesentlich mehr Gleichungssysteme und vor allem sehr schnell zu lösen. So habe ich immer versucht mein geometrisches geistiges Bild in algebraisch-logische Funktionen zu übersetzen, um alles auf den Rechner zu bringen, der es gestattet sehr viele Anbauversuche in ungeheuer kurzer Zeit durchzuführen, vorausgesetzt das Modell ist richtig. Auf der Grundlage dieses Modells wurde dann das Gewächshausklima dynamisch gesteuert.
Das Fazit war, daß wir die Gesamtperiode gut modellieren, aber nicht die speziellen Ertragsschwankungen zu jeder Zeit voraussehen konnten. Wir mußten das Modell ständig durch online-Messungen am Bestand verifizieren oder nachführen. Ein Kurzzeitmodell gelang es nie gut genug zu machen. “Der Tod ist gewiß die Stunde ungewiß.” Die Gesamterntemasse ist gewiß, die Größe der Einzelernten zu den festen zahlreichen Fruchternteterminen ungewiß. Unser Modell rechnete eine Minute auf der BESM-6. Die Ilmenauer Kybernetiker errechneten ein Regressionsmodell daraus, welches nur Sekunden brauchte. Das wurde durch regressionsanalytische Bearbeitung meiner Modelle von Gurke und Tomate durch mathematische Optimierungsstrategien nach Wiener und Hammerstein bewerkstelligt.
Wie habe ich den Geist der Pflanzen eingesetzt? Ich denke, daß die Pflanzen wissen, welches ihre Idealmaße sind. Die Proportion von Ideal und Realität bildete die Steuerungsgrundlage. In diesen Quotienten gingen Blattfläche und Masse ein, wovon der erste die energetisch geistige Grundlage und die Masse das von uns angestrebte Ergebnis sind. Es war uns aber bewußt, daß das Ideal nur eine Schätzung sein konnte. Nur die Pflanze kennt es. Außerdem muß in Abhängigkeit vom Ist-Zustand das Ideal verändert werden. Die oberste Steuergröße war somit nicht der Stoff- sondern der Informationsfluß. Leider war es mir nicht vergönnt auch das Wasser in das Modell einzubeziehen, was ich jetzt nachgeholt habe – wenn auch nicht mehr in Großbeeren. Das Wasser hat aber schon eine Rolle gespielt, obwohl ich nichts davon wußte. Um das Modell auch im Winter wachsen zu lassen, wenn die Atmung die Photosynthese überbietet, was auch bei sehr warmen Temperaturen der Fall ist, mußte ich heimlich die anerkannten biologischen Theorien verletzen. Später habe ich dann erforscht, daß die Photosynthese kein direkter Lichtenergieprozeß ist. Die Gurke wird im Winter zum Kaktus, der auch im Dunkeln durch aktive Transpiration Frischmassesynthese macht. Der Trockenmasseaspekt als Modellierungsgrundlage war gescheitert, aber durch vorausahnende Korrektur ging doch noch alles gut. Geist besiegt den Körper. Es ist der Geist, der sich den Körper baut.
In der Kürze liegt die geometrisch-algebraische Würze der Kybernetik.
Großbeeren hatte eine Besonderheit. Alle Disziplinen des Gartenbaus waren dort angesiedelt, aber auch Landwirte, Physiker, Chemiker, Biologen, Ökonomen, Mathematiker, Statistiker usw. Alles drehte sich um die Pflanzen im Gewächshaus und Freiland. Wir im Gewächshaus hatten eine Vorreiterrolle, weshalb wir auch viel mehr Mittel erhielten als die Freilandleute. Wir konzentrierten uns auf zwei Gemüsearten und erforschten sie an Blättern oder Blattscheiben und ganzen Pflanzen in kleineren Küvetten, an einem kleinen Pflanzenbestand in einer Riesenküvette und in Gewächshäusern mit Ertragsversuchen. Wir machten biochemische und biophysikalische Experimente. Wir haben als erste in der Welt Pflanzen kontinuierlich gewogen und den Frischmasseverlauf dynamisch nachgezeichnet. Die Rechner und Pflanzen wurden zur Zusammenarbeit gezwungen und echte Kybernetik gemacht. Unsere Philosophie in Mathematik umgesetzt.
Dabei ist es mir gelungen heimlich am Rande auch Versuche zu machen, die so einfach sind, daß sie jeder nachempfinden kann. Die haben gezeigt, daß die gesamte Biologie eine Revolution braucht, denn sie ist unter den orthodoxen Biologen ein kompliziertes Sammelsurium geworden, in dem es der Mathematik unmöglich gemacht wurde sich auszubreiten. Außer vielleicht die Statistik. Es gelang mir im Zuge der Modellierung auch dem Wasser auf die Spur zu kommen, welches in der orthodoxen Biologie fast keine Rolle spielt. Es wurden dynamische Transpirationsmessungen auf einer Waage gemacht, die mir nach eingehenden Studien die Augen öffneten, was wirklich wichtig im Leben einer Pflanze und auch aller Tiere und Menschen ist. Die gemeinsame Grundlage aller Lebewesen wurde auf das dichte Wasser zurück geführt.
Beim Einsatz der Kybernetik sollte man nicht allzu sehr auf den Großrechner vertrauen, dann man verlernt selber zu denken. Kybernetik hat mit Großrechnern nicht viel zu tun. Die Geometrie ist viel wichtiger und da bedarf es wirklich keiner Großrechner. Das ist zum großen Teil Stoff der Anfänge der Mathematik. Unentbehrlich aber vergessen oder verdrängt. Erst die Rückbesinnung auf diese einfache grundlegende Mathematik (Geometrie und Algebra) half mir wirklich.
Man konnte in Großbeeren dem Kampf beider Systeme auch in der Grundlagenwissenschaft sehr gut folgen und in diesem Spannungsfeld seine eigene Philosophie auf bauen, die Ansichten beider Seiten vereint.
Am meisten verdanke ich aber den sprechenden Pflanzen. Wir haben die Sprache der Pflanzen und Samen zu entschlüsseln versucht und eine Methode ausgearbeitet, welche die Pflanzen wie ein Arzt nur mit Nanometertechnik aber kontinuierlich abtastete und aus den Ergebnissen auf den Wasserbedarf und das Wohlbefinden schloß.
Das entscheidende Kriterium war das dynamische Wägen. Wir haben Transpiration, Photosynthese und das Pflanzenwachstum primär mit der Waage und sekundär dem Lineal vermessen und dann kybernetisch modelliert, es zu einem dynamischen Pflanzenbestand zusammen gerechnet und mit der Wirklichkeit verglichen. Eine Pflanze ist wie jedes Lebewesen reagierende und wachsende Masse mit einer anpassungsfähigen Zielfunktion vor dem inneren Auge.